TL;DR: Ab dem 28. Juni 2025 müssen Unternehmen ihre Websites, Online-Shops und digitalen Dienstleistungen barrierefrei gestalten, gemäß dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Wer betroffen ist, welche konkreten Anforderungen gelten und wie Sie Ihre digitalen Projekte rechtzeitig BFSG-konform umsetzen – unser Leitfaden zeigt Ihnen den Weg zur barrierefreien Website.
Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde am 15.06.2022 verabschiedet und definiert Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht bzw. erbracht werden. Als nationale Umsetzung des European Accessibility Act (EAA) schreibt es erstmals auch für die Privatwirtschaft umfassende Barrierefreiheitsstandards vor.
Für Webagenturen und ihre Kunden bedeutet dies: Digitale Barrierefreiheit wird vom „Nice-to-have“ zur gesetzlichen Pflicht.
Welche Unternehmen sind betroffen?
Betroffene Bereiche
Das BFSG gilt für Hersteller, Händler und Importeure von bestimmten Produkten sowie die Anbieter von Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr mit Verbrauchern (z.B. E-Commerce, Online-Termin-Buchungs-Tools). Dazu gehören auch Webshops und Apps.
Konkret betroffen sind:
- E-Commerce-Plattformen (Shopware, WooCommerce, Magento)
- Unternehmenswebsites mit Buchungs- oder Servicefunktionen
- Kundenportale und Self-Service-Bereiche
- Banking- und Finanzdienstleistungen online
- Telekommunikationsanbieter
- Mobilitätsdienstleister (Apps, Buchungssysteme)
Ausnahmeregelung für Kleinstunternehmen
Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem jährlichen Gesamtumsatz von maximal 2 Millionen Euro sind ausgenommen – wenn diese Dienstleistungen und Services erbringen. Wichtig: Diese Ausnahme gilt nur für Dienstleistungen, nicht für Produkte.
Technische Anforderungen: WCAG 2.1 Level AA als Standard
Das BFSG schreibt für betroffene Unternehmen die Einhaltung der Konformitätsstufe AA der WCAG 2.1 vor. Das bedeutet also, dass die Anforderungen der WCAG-Stufen A und AA erfüllt sein müssen, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen.
Die vier Grundprinzipien der WCAG 2.1
1. Wahrnehmbar (Perceivable)
- Inhalte müssen für alle Nutzer wahrnehmbar sein
- Alternativtexte für Bilder und Grafiken
- Untertitel für Videos
- Ausreichende Farbkontraste
2. Bedienbar (Operable)
- Vollständige Tastaturbedienbarkeit
- Angemessene Zeitlimits
- Vermeidung von Epilepsie-auslösenden Inhalten
- Klare Navigation
3. Verständlich (Understandable)
- Lesbare und verständliche Texte
- Vorhersagbare Funktionalität
- Hilfe bei der Eingabe und Fehlervermeidung
4. Robust (Robust)
- Kompatibilität mit Hilfstechnologien
- Validér HTML-Code
- Zukunftssichere Technologien
Praktische BFSG-Checkliste für Websites und Online-Shops
Basiskonfiguration
- [ ] Semantisches HTML verwenden (Überschriften h1-h6, Listen, Buttons)
- [ ] Sprache der Seite definieren (<html lang=“de“>)
- [ ] Validen HTML-Code sicherstellen
- [ ] Mobile Responsiveness gewährleisten
Tastaturbedienung
- [ ] Vollständige Tastaturbedienbarkeit aller Funktionen
- [ ] Sichtbarer Fokus-Indikator (Tab-Navigation)
- [ ] Logische Tab-Reihenfolge einhalten
- [ ] Skip-Links für Hauptinhalte bereitstellen
Visuelle Gestaltung
- [ ] Farbkontraste mindestens 4,5:1 für normalen Text
- [ ] Farbkontraste mindestens 3:1 für große Texte
- [ ] Informationen nicht nur über Farbe vermitteln
- [ ] Schriftgrößen skalierbar bis 200% ohne Funktionsverlust
Bilder und Medien
- [ ] Alt-Texte für alle inhaltlichen Bilder
- [ ] Leere Alt-Attribute für dekorative Bilder
- [ ] Untertitel für Videos mit gesprochenem Inhalt
- [ ] Audiodeskription für wichtige visuelle Videoinhalte
Formulare
- [ ] Labels für alle Eingabefelder
- [ ] Pflichtfelder eindeutig kennzeichnen
- [ ] Fehlermeldungen klar und verständlich
- [ ] Eingabehilfen und Format-Beispiele
Navigation und Struktur
- [ ] Eindeutige Seitentitel (<title>)
- [ ] Aussagekräftige Überschriftenstruktur (h1-h6)
- [ ] Breadcrumb-Navigation wo sinnvoll
- [ ] Suchfunktion verfügbar und zugänglich
E-Commerce spezifisch
- [ ] Produktinformationen vollständig und strukturiert
- [ ] Preisangaben eindeutig und kontrastreicht
- [ ] Warenkorb-Status für Screenreader zugänglich
- [ ] Checkout-Prozess linear und verständlich
- [ ] Fehlermeldungen im Bestellprozess aussagekräftig
Content Management System-spezifische Umsetzung
WordPress-Projekte
- Barrierefreie Themes verwenden (z.B. Twenty Twenty-Four)
- Accessibility-Plugins implementieren (WP Accessibility, One Click Accessibility)
- Alt-Texte in der Medienbibliothek pflegen
- Block-Editor für semantische Struktur nutzen
TYPO3-Websites
- EXT:accessibility Extension einsetzen
- Fluid-Templates für semantisches HTML
- RTE-Konfiguration für Redakteure anpassen
- Strukturierte Inhaltstypen verwenden
Shopware-Shops
- Accessibility-Plugin oder Theme-Anpassungen
- Produktdaten strukturiert erfassen
- Checkout-Prozess optimieren
- Template-Customizations für WCAG-Konformität
Zeitplan und Konsequenzen
Wichtige Termine
- 28. Juni 2025: BFSG tritt in Kraft
- Sofort: Vorbereitung und Umsetzung beginnen
- 2030: Übergangsfrist für bestimmte Dienstleistungen
- 2040: Übergangszeit für Selbstbedienungsterminals
Sanktionen bei Nichteinhaltung
Es sind Produktrückrufe/Einstellung der Dienstleistung oder Bußgelder bis zu 100.000 Euro möglich. Zudem sieht das BFSG neben Klagen einzelner Verbraucherinnen und Verbraucher auch die Option von Verbandsklagen vor.
Prüftools und Ressourcen
Automatisierte Tests
- axe-core Browser-Extension
- WAVE Web Accessibility Evaluation Tool
- Lighthouse Accessibility Audit
- Pa11y Command-Line-Tool
Manuelle Prüfungen
- Screenreader-Tests (NVDA, JAWS, VoiceOver)
- Tastatur-Navigation
- Farbkontrast-Analysen
- Mobile Accessibility
Offizielle Ressourcen
Handlungsempfehlungen für Agenturen und Unternehmen
Sofortmaßnahmen
- BFSG-Betroffenheit des Unternehmens klären
- Ist-Zustand der aktuellen Websites analysieren
- Projektplan für Barrierefreiheit erstellen
- Team-Schulungen zur digitalen Barrierefreiheit
Mittel- bis langfristig
- Design-System für Barrierefreiheit entwickeln
- Qualitätssicherung in Entwicklungsprozesse integrieren
- Redaktionsschulungen für barrierefreie Inhalte
- Monitoring und regelmäßige Überprüfungen
Fazit: Barrierefreiheit als Chance begreifen
Das BFSG ist mehr als eine gesetzliche Verpflichtung – es ist eine Chance, digitale Produkte für alle zugänglicher zu machen. In Deutschland leben 7,8 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung – ein erhebliches Marktpotenzial, das durch barrierefreie Websites erschlossen werden kann.
Unsere Empfehlung: Beginnen Sie bereits jetzt mit der Umsetzung. Eine frühzeitige Planung vermeidet Stress kurz vor dem Stichtag und schafft Wettbewerbsvorteile im digitalen Markt.
Sie benötigen Unterstützung bei der BFSG-konformen Umsetzung Ihrer Website oder Ihres Online-Shops? Als erfahrene Webagentur mit über 26 Jahren Expertise unterstützen wir Sie bei der Planung und Umsetzung barrierefreier digitaler Lösungen. Von der initialen Analyse bis zur vollständigen WCAG 2.1 AA-Konformität – wir begleiten Sie auf dem Weg zur inklusiven Website.